25 tödliche Gewalttaten an Frauen haben sich bisher in diesem Jahr in Österreich ereignet, zwölf davon in der Steiermark. Dieses bestürzende Ausmaß an häuslicher Gewalt erfordert ein rasches politisches Handeln. Unmittelbar nach den beiden letzten Femiziden im Bezirk Leibnitz beziehungsweise Murtal hat der Gewaltschutzbeirat des Landes auf Einladung von Soziallandesrätin Doris Kampus zwei Sondersitzungen abgehalten.
Als eines der gemeinsamen Merkmale der aktuellen Fälle wurde dabei herausgearbeitet, dass es im Vorfeld keiner einzigen Tat einen Kontakt zu einer Gewaltschutzeinrichtung gegeben hat. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten von Gewaltschutzeinrichtungen, der Polizei und der Justiz sowie Vertreterinnen und Vertretern der Landesverwaltung wurde, basierend auf den Beratungen, ein steirischer Sechs-Punkte-Plan für mehr Gewaltschutz vereinbart. Im Rahmen eines Pressegesprächs im Medienzentrum Steiermark wurden heute (09.11.2023) die Maßnahmen vorgestellt.
Notruf- und Beratungsnummern nutzen!
Alle Expertinnen und Experten appellieren anlässlich der aktuellen Situation an Betroffene und ihr Umfeld, sich frühzeitig Rat und Hilfe zu suchen. Dazu gibt es eine Reihe von Helplines und Notrufnummern – in der Steiermark sind 24 Stunden täglich erreichbar:
⇒ Polizei-Notruf 133
⇒ Frauenhaus 0316 429900
⇒ Männerinfo 0800 400 777
⇒ Männernotruf 0800 246 247
⇒ Psychiatrisches Krisentelefon PsyNot 0800 44 99 33
Parallel dazu wird im Auftrag des Landes Steiermark von den Gewaltschutzeinrichtungen eine zentrale Notrufnummer für alle Gewaltschutzeinrichtungen eingerichtet werden, sodass Betroffene noch einfacher Kontakt zu Hilfseinrichtungen aufnehmen können und rasch Beratungstermine erhalten können.
Informationskampagne
Schon bisher wurden in der Steiermark zahlreiche Sensibilisierungskampagnen mit unterschiedlichen Partnern (SPAR Steiermark, Citypark, H&M, Ärztekammer, usw.) durchgeführt. Diese Bemühungen werden mit einer Kino-Kampagne (Start in allen österreichischen Kinos am 24. November) in den anstehenden 16 Tagen gegen Gewalt fortgesetzt. Darüber hinaus ist wieder geplant, dass gemeinsam mit der Ärztekammer eine Informationskampagne bei den Hausärzten durchgeführt wird.
Schulungen & Sensibilisierung
Im Bereich der Justiz wird dem Thema Gewaltschutz in der Ausbildung von Rechtspraktikantinnen und -praktikanten und Richterinnen und Richtern noch mehr Stellenwert gegeben. Dies soll die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den direkten Kontakt mit Betroffenen, zum Beispiel im Rahmen von Amtstagen oder Einvernahmen, weiter sensibilisieren. Darüber hinaus sollen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes geschult werden.
In den steirischen Polizeiinspektionen gibt es speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Präventionsangelegenheiten. Insgesamt sind es in der Steiermark rund 160 Polizistinnen und Polizisten.
Neue Gewaltambulanz am LKH Leoben
Gewaltambulanzen stellen ein Angebot für von Gewalt betroffenen Menschen jeglichen Alters dar. Die Untersuchungen durch speziell dafür ausgebildete Ärztinnen und Ärzten aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin ermöglichen in vielen Fällen die Erhebung gerichtsverwertbarer, objektiver Befunde und die Sicherung von Spuren, die einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Geschehens leisten können. Das Land Steiermark übernimmt die Kosten für eine zweite steirische Gewaltambulanz in der Obersteiermark, die am LKH Leoben eingerichtet werden soll.
Wissenschaftliche Untersuchung
Bei vielen Femiziden stellt sich in der Nachbetrachtung heraus, dass es im Vorfeld keinen Kontakt zu Beratungsstellen oder zur Polizei gegeben hat, obwohl es in der Steiermark ein dichtes, regionales Angebot in diesem Bereich gibt. Das Land Steiermark wird eine wissenschaftliche Studie beauftragen, die das private Umfeld als möglichen Präventionsfaktor behandeln und Faktoren aufzeigen soll, die es Frauen erleichtern, Gewaltbeziehungen zu verlassen.
Neue Übergangswohnungen
Das Land Steiermark wird in den nächsten Wochen und Monaten steiermarkweit 13 neue Übergangswohnungen zur Verfügung stellen. Diese sind ein ergänzendes Angebot zu den Frauenhäusern und den Krisenwohnungen. Dafür werden seitens der Bundesregierung 420.000 zur Verfügung gestellt. Die notwendigen restlichen Mittel stellt das Land Steiermark zur Verfügung.
Soziallandesrätin Doris Kampus: „Ich bin entsetzt und betroffen über dieses Ausmaß an Gewalt gegen Frauen. Jede Gewalttat ist für uns alle ein Auftrag zum Handeln. Vor allem müssen wir herausfinden, wie wir Frauen und Männer in Krisensituationen rechtzeitig über die vielen bestehenden Hilfsangebote informieren. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass jede fünfte Frau davon betroffen ist. Gewaltschutz ist und bleibt daher eines meiner wichtigsten politischen Anliegen. Gewalt ist niemals Privatsache, sie geht uns alle an.“
Michaela Gosch, Geschäftsführerin Frauenhaus Steiermark: „Was uns Sorgen bereitet ist, dass wir offenbar Frauen, die von Gewalt betroffen sind und sich in Hochrisikosituationen befinden, mit unseren Angeboten nicht rechtzeitig erreichen. Dazu gehört einerseits dass Gewalt oft erst viel zu spät als solche erkannt wird und andererseits, dass die betroffenen Frauen die bestehenden Hilfsangebote nicht in Anspruch nehmen. Aus dem Grund wird es vom 24. November bis 28. Dezember, also während der 16 Tage gegen Gewalt, die Kinospot - Kampagne „Respekt ist keine Schwäche!" geben, die österreichweit in allen Kinos gezeigt wird und in der wir sowohl die unterschiedlichen Formen von Gewalt sichtbar machen, als auch die bestehenden Beratungs- und Hilfsangebote. Die Spots werden darüber hinaus auch auf allen Social-Media-Kanälen zugänglich gemacht werden.“
Michael Kurzmann, Männerberatung & Burschenarbeit Steiermark (Verein für Männer- und Geschlechterthemen): „Die Morde an den Frauen wurden von Männern begangen. Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, mit dem sich Burschen und Männer auseinandersetzen müssen! Das bedeutet, dass wir weiter und verstärkt mit Männern und Burschen arbeiten, um Gewalt zurückzudrängen. Wir motivieren Männer, professionelle Unterstützung anzunehmen, bevor sie sich aufgrund von verzerrten Ansprüchen in Überforderung und ausweglos scheinende Situationen manövrieren. Entsprechende Unterstützungsangebote gibt es, z.B. die zehn Männerberatungsstellen in der Steiermark oder die MÄNNERINFO-24/7-Krisenhelpline (0800 400 777). Diese Angebote müssen noch bekannter gemacht werden, damit Burschen und Männer sie stärker nutzen. In der Opferschutzorientierten Täterarbeit setzt die Steiermark auf Zusammenarbeit aller Akteure und Akteurinnen. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen! Mittel- und langfristig wollen wir Buben und Burschen flächendeckend mit Präventionsangeboten erreichen, um frühzeitig an neuen, gewaltfreien und gleichstellungsorientierten Männlichkeitsbildern zu arbeiten. Das sind gewaltpräventive Zukunftsinvestitionen für die nächste Generation!“
Marina Sorgo, Gewaltschutzzentrum Steiermark: „Das Gewaltschutzsystem kann nur jene Frauen schützen und unterstützen, die sich an uns wenden. Unsere Expertinnen und Experten stehen natürlich auch anonym zur Verfügung.“
Eduard Hamedl, Männernotruf Steiermark: „Die steigenden Zahlen von Gewalttaten im Beziehungsumfeld sind tatsächlich alarmierend. Männer sind von Grund auf natürlich keine Gewalttäter, wenn es aber Gewalt in der Familie gibt, werden die Taten zu 90 Prozent von Männern verübt. Oft fehlt da einfach jemand zum Reden, genau da setzen wir als Männernotruf seit zehn Jahren an. Wir haben in dieser Zeit vor allem den Männern eine Möglichkeit gegeben, über ihre Sorgen, Probleme und Ängste zu reden, damit es eben nicht zu einem Gewaltausbruch kommt. Wir dürfen angesichts der aktuellen Situation in Österreich und der Steiermark nicht zur Tagesordnung übergehen. Vielmehr ist es wichtig, dass wir hinschauen, was wir alle gemeinsam im Gewaltschutz noch besser machen können. Vor allem im Bereich der Prävention, so dass es gar nicht erst zu solchen Gewalttaten kommt. Das Land Steiermark startet mit Unterstützung des Sozialministeriums auch noch Mitte November mit einer Info-Kampagne des Männernotrufes in den Straßenbahnen und Bussen, Videowall Jakominiplatz und in allen Bahnhöfen in der Steiermark und im ORF.“
Zahlen und Daten zum Gewaltschutz in der Steiermark:
- Jede fünfte Frau – also 20 Prozent der Frauen – ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt.
- Jede dritte Frau musste seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form von sexueller Belästigung erfahren.
- Jede siebte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr von Stalking betroffen.
- Insgesamt beträgt das Gewaltschutzbudget des Landes rund zehn Millionen Euro.
- Wegweisungen und Betretungsverbote in der Steiermark 2023 (bis 26. Juni 2023): 843; 2022: 2107; 2021: 1420
Überblick über Einrichtungen in der Steiermark:
- Frauenhaus mit Standorten in Graz und Kapfenberg – durchschnittliche Auslastung bei rund 90 Prozent: Rund um die Uhr-Notruf: 0316 42 99 00 (Telefon und WhatsAPP)
- Krisenwohnung in Feldbach, Weiz, Knittelfeld, Gröbming, Voitsberg und Leibnitz
- Übergangswohnungen in Graz – 2023 leben acht Frauen mit 16 Kindern in solchen Wohnungen
- Gewaltschutzzentrum Steiermark in Graz mit Außenstellen in Leoben, Liezen, Bruck, Hartberg, Feldbach, Leibnitz
- Zehn Männerberatungsstellen in der Steiermark: Bruck, Deutschlandsberg, Feldbach, Graz, Hartberg, Leibnitz, Leoben, Liezen, Zeltweg, Voitsberg
- 24/7-Männerinfo-Helpline: 0800 400 777
- Frauen- und Mädchenberatungsstellen: Liezen, Murau, Leoben, Kapfenberg, Voitsberg, Graz, Weiz, Hartberg, Feldbach, Leibnitz, Vasoldsberg und Deutschlandsberg
- Kinderschutzzentren in allen steirischen Regionen